Der Name Henri Faber ist vielen Thriller-Liebhabern nach seinem Debüt „Ausweglos“ längst ein Begriff. Da liegt es nahe, dass ich nun nicht mehr umhinkam, mich jetzt auch einmal etwas genauer mit dem neuen Bestsellerautor zu befassen. Also nutze ich die erste Woche meines diesjährigen Ostseeurlaubs, um sein zweites Buch „Kaltherz“ zu lesen und Henri Fabers Stil kennenzulernen.
Klappentext
„Mama ist im Himmel. Jetzt habe ich eine Mami. Aber sie sagt, für das, was sie getan hat, kommt sie in die Hölle.“
Acht Minuten. Länger war die fünfjährige Marie nicht alleine. Doch als ihre Mutter zum Auto zurückkommt, ist Marie spurlos verschwunden. Kommissarin Kim Lansky übernimmt den Fall. Es ist ihre letzte Chance, sich als Ermittlerin zu beweisen. Die Suche nach der Wahrheit führt sie in die dunkelsten Kapitel ihrer eigenen Vergangenheit – und zu einer erschreckenden Frage: Warum bleiben gerade in München so viele Kinder verschwunden?
Über den Autor
Henri Faber wurde 1986 geboren und wuchs in Niederösterreich auf. Nach seinem Studium in Publizistik und Kommunikationswissenschaft lebt er heute als Autor und Texter in Hamburg.
„Kaltherz“ ist nach seinem Bestseller „Ausweglos“ sein zweiter Thriller.
Meine Meinung
Intro
In der „Blogger-Bubble“ ist Henri Faber schon sehr häufig auf meiner Bildfläche aufgetaucht. Dabei ist seine Erstveröffentlichung gerade erst ein Jahr her, was in dieser Branche gar nicht viel ist. Doch Mr. Faber ist in aller Munde, denn mit seinem Debüt „Ausweglos“ machte er es sich bereits auf der Bestsellerliste gemütlich. Scheinbar gefällt es dem Autor dort so sehr, dass er sich seinen Platz nicht streitig machen lassen will und „Kaltherz“ nachlegt. Doch kalt ums Herz wird dem/der LeserIn ganz sicher nicht! Bei derartigen Pulsbeschleunigungen zeigen sich eher Schweißausbrüche in allen Intensitäten!
Anfänglich hatte ich ja zugegebenermaßen etwas Sorge bezüglich des in der Story vorkommenden Kindes. Ich kann so einige Sparten lesen und inhaltlich verdauen, es darf sogar auch mal etwas härter oder blutiger sein, doch dürfen möglichst keine Kinder in solchen Handlungen vorkommen. Das ist eine Grenze, über die ich mich nur äußerst selten wage. Wenn dies in der Vergangenheit doch mal geschah, dann kam es meist dazu, weil ich vorher nichts davon ahnte und unbedarft während des Lesens damit konfrontiert wurde. In ganz, ganz seltenen Fällen lasse ich mich wohl überlegt auf meine Grenzthematik ein, um mich mit medizinischen oder biographischen Büchern und Berichten weiterzubilden oder thematisch mit etwas auseinanderzusetzen.
Da der Klappentext zu „Kaltherz“ natürlich wenig darüber aussagt, was dem Kind im Verlauf widerfährt, habe ich ein wenig mit dem Kauf des Buches gezögert. Letztlich wagte ich es aber, weil das Buch auf unterschiedlichsten Wegen immer wieder meine Aufmerksamkeit einforderte bis der Reiz einfach zu groß wurde.
Im Nachhinein kann ich aber jeder/jedem Interessierten, die/den vielleicht ähnliche Überlegungen von dem Buch abhalten, zum Lesen ermutigen!
Ich bin nicht zum Grenzgänger geworden und wurde so sehr für meinen Mut belohnt!
Mit Aktion, Spannung, Dramatik, Unvorhersehbarkeit, Sensibilität, Emotionalität und noch viel mehr.
Zur Handlung
Clara macht mit ihrer Tochter Marie einen Ausflug. Sie möchten die Enten am See füttern. Vor Ort lässt Clara ihr kleines Mädchen für ein paar Minuten allein im Auto sitzen, um die nahegelegene Toilette aufzusuchen. Als die junge Mutter zum Auto zurückkehrt, ist Marie spurlos verschwunden.
Kommissarin Kim Lansky kämpft währenddessen mit eigenen Problemen, denn ihr eigenwilliger und starrsinniger Charakter hat sie bisher bei Ableitungsleitern und Kollegen mehrerer Dezernate nicht sonderlich beliebt gemacht, und so versucht sie, auf nicht so ganz legalen Umwegen der Gerechtigkeit Genüge zu tun.
Als letzte Bewährungsprobe wird sie der Vermisstenabteilung zugeteilt und Maries Fall landet auf ihrem Schreibtisch. Die Ermittlerin hat sofort Blut geleckt und setzt alles daran, das Mädchen zu finden und in den Schoß der Familie zurückzuführen. Kim Lansky ahnt allerdings nicht, dass selbst ihre unkonventionellsten Methoden ihre Grenzen haben und die verzweifelte Suche nach dem Kind die eigenen Vergangenheitsdämonen heraufbeschwören und einen hohen Preis von ihr fordern wird.
Die Figuren
Der/die LeserIn begleitet abwechselnd vier Hauptfiguren durch ihren Alltag. Jeder der Vier hat seinen ganz eigenen Lebensfaden samt individuellen Charakterzügen auf den Leib geschrieben bekommen. Sie agieren authentisch und ihre Gedankengänge und Emotionen sind absolut nachvollziehbar gezeichnet. Dies alles zusammengenommen lässt sie so lebendig wirken, als würde man sie körperlich real berühren können.
Kommissarin Kim Lansky ist in einem sozialen Brennpunkt aufgewachsen. Dementsprechend zeigt sich ihre Aussprache und ihr Verhalten. Sie ist nicht das sittsame, brave Geschöpf, das sich gewählt auszudrücken weiß und mit ihrer Meinung hinter dem Baum hält. Sie ist durchsetzungsfähig, draufgängerisch, egozentrisch und geht mit dem Kopf durch die Wand. Macht ihr Umfeld nicht mit, dann macht sie es eben allein! Mit anderen Worten, sie ist unangepasst und kann mit Regeln wenig anfangen. Im sozialen Kontakt wirkt sie unbeholfen, findet nicht den richtigen Ton oder die passenden Worte. Aber sie möchte unbedingt helfen, ist extrem loyal und verfügt über einen großen Gerechtigkeitssinn.
Clara und Jakob Lipmann sind Maries Eltern und könnten unterschiedlicher nicht mit der Ausnahmesituation umgehen. Die Beiden sind ein regelrechtes Kontrastprogramm.
Während die Mutter ihre Ängste, Sorgen und düsteren Gedanken im Alkohol ertränkt und zu keinem funktionierenden Alltag mehr fähig ist, würde in Jakobs beruflichem Umfeld niemand auch nur ansatzweise erahnen können, welch Tragödie seine Familie heimgesucht hat. Seine Haltung ist aufrecht, seine Gedanken stets zielgerichtet. Kurzum, er funktioniert wie ein Uhrwerk.
Die kleine Marie ist ein aufgewecktes kleines Mädchen. Sie beobachtet alles ganz genau und zieht für die Beschreibungen ihrer momentanen Situation Vergleiche mit ihren Malfarben. Sie hat die faszinierende, für Kinder so typische, allumfassende Anpassungsfähigkeit, welche allen kindlichen Gemütern innewohnt, weil ihre Gehirne die Tragik der Umstände noch nicht erfassen können.
Sämtliche Nebenfiguren haben ihre Daseinsberechtigung, um die Handlung in der Gesamtheit perfekt auszufüllen und sind mit der für ihre jeweilige Position richtigen Charaktertiefe ausgestattet.
Der Schreibstil
Henri Faber hat einen beeindruckenden Schreibstil, dessen Ausgereiftheit ich bei einem zweiten schriftstellerischen Werk in der Form nicht erwartet hätte.
Die Story ist in vier Handlungsstränge gegliedert, welche die Geschichte aus der jeweiligen Sicht der vier Primärfiguren zeichnen. Wer nun befürchtet, dies könne nur konfus werden und in wirren Verstrickungen enden, dem sei gesagt, dass dies keineswegs so ist! Die Story wirkt absolut geordnet und strukturiert. Sie ist richtig gut nachvollziehbar und der rote Faden befindet sich stets in der imaginären Hand des/der Lesers/Lesenden.
Die sich abwechselnden Perspektiven und das gleichzeitig ineinander greifende Handlungskonstrukt lassen die Figuren lebendig und aktiv erscheinen, fast so als würden sie mit dem/der LeserIn interagieren.
Perfekt gesetzte Wendungen und Unvorhersehbarkeiten inmitten des lebhaften und temporeich gezeichneten Aufbaus drehen die Spannung wie eine sich empor schraubende Wendeltreppe stetig in die Höhe.
Das Setting ist sehr schön bildhaft gezeichnet. Ich konnte mich jederzeit gut an die Fersen der Akteure heften und habe zu keiner Zeit die Orientierung verloren.
Die der Handlung zugrundeliegenden dramatischen Thematiken wurden sensibel bearbeitet und authentisch und emphatisch umgesetzt.
Fazit
„Kaltherz“ ist ein absolutes Thrillerfestival.
Nichts ist wie es scheint. Alle Lösungsansätze, die du dir während des Lesens ausmalen solltest: vergiss sie!! Du löst das Rätsel nicht, bevor Henri Faber es nicht möchte. Nichtmal in den Dunstkreis der Auflösung kannst Du es allein schaffen.
Der Autor spielt mit den Figuren und ihren Intensionen und schüttelt immer wieder alles durcheinander, bis Du nicht mehr weißt, welcher Figur Du trauen kannst und wer deine Sympathie hat. Ja, selbst die Zeit wird nicht auf deiner Seite sein.
Solltest Du dann irgendwann nach vielen Hinweisen doch glauben, Du seist jetzt an dem Punkt angekommen, an welchem der Autor den Knoten in deinem Kopf lösen wird, ist es noch nicht das Ende des Fadens!
Mir hat dieses Verwirrspiel richtig gut gefallen und Marie würde jetzt treffend sagen: „Mistekiste“, das war fett!
Erklärungen zu den Bewertungen findet Ihr hier.
- Autor: Henri Faber
- Titel: Kaltherz
- Datum der Veröffentlichung: 18.05.2022
- Genre: Thriller
- Verlag: dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG
- ISBN des Prints: 978-3423220125
- Seitenzahl des Prints: 416
- Dateigröße des eBooks: 2584 KB
- Gelesenes Format: Print/Taschenbuch
- Rezensionsexemplar: Nein
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