„Dr. Schiwago“ gehört zur Weltliteratur des 20. Jahrhunderts und seine Veröffentlichung stand wegen seines staatsfeindlichen Inhalts auf sehr wackeligen Beinen.
In Russland verboten, wurde es schließlich in Italien erstveröffentlicht. Boris Pasternack erhielt dieses Werk den Nobelpreis, welchen er gezwungener Maßen ablehnen musste.
In „Alles, was wir sind“ reist der Leser*in mit Autorin Lara Prescott zurück in die Jahre des Kalten Krieges und liest über die große Liebe von Olga Iwinskaja für ihren Geliebten Boris und die gnadenlose Hetzjagd auf ein Buch, dass für Viele zu gefährlich ist, um es der Welt zu präsentieren.
Klappentext
Es geht um Liebe. Es geht um uns.
Der Kalte Krieg zieht auf, und Worte werden zu Waffen. Olga Iwinskaja, Geliebte des großen Boris Pasternak, wird verhaftet. In Moskau will man verhindern, dass Pasternaks Roman Doktor Shiwago erscheint, doch Olga hält an ihrer Liebe zu Boris fest. Zugleich will die CIA mit einer einzigartigen Waffe den Widerstand in der Sowjetunion wecken – mit Literatur, mit Doktor Shiwago. Für die Mission wird die junge Irina angeworben und von der Agentin Sally ausgebildet. Es beginnt eine gefährliche Hetzjagd auf ein Buch, das den Lauf der Welt verändern soll.
Eine große Geschichte über geheime Heldinnen, die Kraft der Literatur und – die Liebe.
Über die Autorin
Lara Prescott, wurde 1981 in Pennsylvania geboren und studierte als Stipendiatin am Michener Center for Writers. Ihre Geschichten erschienen in literarischen Zeitschriften und wurden mehrfach ausgezeichnet.
„Alles, was wir sind“ ist ihr Debütroman, für den sie jahrelang in Russland, Europa und den Archiven der CIA recherchierte.
Die Autorin lebt in Austin, Texas.
Meine Meinung
Intro
Ich habe dieses Buch noch in seinem alten Kleid entdeckt. Im April vorigen Jahres hat es allerdings ein neues Gewand bekommen. Frischer, moderner und zeitgemäßer, um es ansprechender für die Leserschaft zu machen. Doch wenn ich beide Cover miteinander vergleiche, dann gefällt mir die Front meines Exemplars viel besser, denn es ist ein Sinnbild des größten Elements des Gesamtinhalts. Die große Liebe Olga Iwinskajas zu Boris Pasternack, dem Autor von „Dr. Schiwago“.
Lara Prescott entführt uns hier in die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts und lässt uns hinter den eisernen Vorhang blicken. Wir erleben den wirtschaftlichen Aufschwung und die Demokratie des Westens und die sozialistischen Diktaturstrukturen des Stalinismus. Der kalte Krieg hat die Supermächte im festen Griff und Literatur wird zu einem gefährlichen Instrument.
Inmitten dieser turbulenten Zeit der Nachkriegsjahre lernen sich Olga und Boris bei einer seiner Lesungen kennen und verlieben sich ineinander. Doch diese Liebe wird für Olga zur großen Gefahr, denn Boris schreibt an einem Buch, dessen Inhalt die russische Regierung keinesfalls unter das Volk gebracht sehen möchte und einiges dafür tut, dies unter allen Umständen zu verhindern.
Später wird Boris sagen, dass Olga ihn zu „Dr. Schiwago“ inspiriert hat und der Roman ohne sie nie veröffentlicht worden wäre.
Zur Handlung
Der russischen Regierung ist zu Ohren gekommen, dass Boris Pasternack in seinem aktuellen Roman staatsfeindliche Äußerungen publizieren würde. Um die Vollendung von „Dr. Schiwago“ zu verhindern, nehmen sie seine Geliebte Olga, für die er große Gefühle hegt, in Gefangenschaft und verhören sie viele Nächte lang. Doch die Liebe der jungen Frau zu ihrem Geliebten ist unüberwindbar. Schließlich wird sie in ein Gulag deportiert und diesen auch viele, viele Jahre nicht mehr verlassen…
Irina ist mit ihrer Mutter nach Amerika ausgewandert. Dort findet sie eine Stelle als Stenotypistin im Schreibpool des CIA. Diese erkennen ihr Talent und bilden sie mit Hilfe der Agentin Sally zur Spionin aus, denn der Westen will unbedingt an „Dr. Schiwago“ kommen, um den russischen Widerstand zu brechen und das Volk gegen seine Regierung aufzubringen…
Die Figuren
Die handelnden Personen sind aus meiner Sicht unterschiedlich lebendig gezeichnet und verfügen dementsprechend über verschiedene charakterliche Tiefen.
Den beiden Liebenden hat die Autorin die meiste Ausarbeitszeit zugemessen. Sie sind durchaus lebhaft beschrieben, doch agieren nicht immer so, dass es für mich verständlich wäre.
Olgas Herz gehört voll und ganz ihrem Geliebten Boris, und das auf bedingungslose und aufopfernde, ja, fast schon pathologische Art und Weise. Für ihn verliert sie alles, was sie besitzt. Sie wird gefoltert, in ein Arbeitslager deportiert, muss Kälte ertragen und Hunger leiden, und selbst ihre Kinder kommen nicht an die anbetenden Emotionen für Boris heran. Auch wenn ich solche Gefühle und diese Standhaftigkeit ausgesprochen bewundernswert finde, so kam ich nicht umhin, mich zu fragen: Warum ist das so? Was sieht sie in ihm? Ist das wirklich Liebe oder grenzt das an Hörigkeit?
Zumal Boris hingegen auf mich eher den Eindruck eines Eigenbrötlers und Egoisten macht. Sowohl seine Frau als auch die Geliebte haben sich seinen Schreibphasen unterzuordnen und niemals eine gleichwertige oder gar höhere Wertstellung als das Schreiben für ihn.
Auch wenn er Olga stets als seine Muse bezeichnet und behauptet, ohne sie zu keinem geschriebenen Wort fähig zu sein, hätte er niemals das gleiche riskiert, was sie für ihn geopfert hat. Und das hat mich traurig werden und Mitleid für Olga empfinden lassen. Sie hätte für ihre großen Gefühle so viel mehr verdient, als sie letztlich von ihm zurückbekommen hat. Doch war er wirklich dieser Egomane, wie er sich mir hier gezeigt hat?
Während mich die emotionale Diskrepanz der beiden Liebenden fast in den Wahnsinn trieb, blieben mir Irina, Sally und die Frauen des Schreibpools in den USA etwas zu flach. Der Sinn hinter ihren Aufgaben ist klar und nachvollziehbar, doch ihre wahren Charaktere, ihre Gedanken und Emotionen erreichten mich nicht so wirklich, weshalb sie eher farblos und blass wirkten und nicht eindrücklich genug waren, um nach Beendigung des Buches längere Zeit im Gedächtnis zu bleiben.
Der Schreibstil
Lara Prescotts Schreibstil gefiel mir grundsätzlich gut. Ihre Sprache ist intelligent und innerhalb der Kapitel war sie für mich schön fließend und gut verständlich zu Papier gebracht worden. Allerdings tat ich mich mit den wechselnden Perspektiven etwas schwer. Die Übergänge sind nicht ganz so rund geworden und ich habe mich wiederholt zu Beginn des jeweiligen Szenenwechsels erst zurechtfinden müssen, um den Handlungsfaden der jeweils gezeichneten Figur wieder aufnehmen zu können.
Der Leser*in folgt hier nämlich zwei Hauptsträngen, kleineren Nebensträngen und mehreren Personen. Inmitten des kalten Krieges begleitet man auf der einen Seite hauptsächlich Olga und Boris im Osten und Irina und Sally im Westen. Und genau hier, zwischen den Frauen des CIA hatte ich etwas Schwierigkeiten. Erst im Verlauf des aktuellen Kapitels fand ich heraus, wen ich da gerade begleitete. Denn es gab nicht nur Irina und Sally, sondern auch die gesamte Gruppe der Frauen des Schreibpools, die nichts von Irinas und Sallys Auftrag wissen durften und doch hinter so viele Geheimnisse blicken konnten. Dadurch geriet mein Lesefluss leider immer wieder etwas ins Stocken.
Dies und die Diskrepanz bei der Figurenausarbeitung hielten mich aber dennoch nicht davon ab, der schweren, düsteren und doch so voller Hoffnung steckenden Handlung zu folgen. Die geschichtlichen Hintergründe sind nämlich von der Autorin nicht nur bemerkenswert gut und umfassend recherchiert, sondern auch spannend gezeichnet worden.
Kriege sind äußerst dunkle Kapitel der Menschheit und der kalte Krieg war da nicht viel besser. Die Schilderungen des Gulag sind äußerst bedrückend und zeigen, an was für einem entsetzlich menschenverachtenden Ort Olga um ihr Überleben kämpfen musste.
Die Atmosphäre des gesamten Buches ist zeitgemäß düster, dramatisch und traurig, aber auch so voller Aufschwung, Zuversicht und großer Liebe.
Außerdem hat es mich doch brennend interessiert, ob es etwas geben würde, dass Olga dazu bringen könnte, ihre intensive Bindung zu Boris in Frage zu stellen oder bis zum Ende treu zu ihrer großen Liebe stehen würde.
Fazit
„Alles, was wir sind“ ist ein Roman, der Spionage- und Thriller-, aber auch Gesellschafts- und Liebesroman-Anteile in sich vereint. Er hat unerwartet viel in mir bewegt und ich bleibe letztendlich doch ziemlich aufgewühlt und emotional mitgenommen zurück.
Ich kann jedem Leseinteressenten*in empfehlen:
Wenn man um die Mankos weiß und sie annehmen kann, dann findet man eine aufopferungsvolle große Liebe, verbunden mit einem wundervollen Stück Zeitgeschichte, dass einem nach so vielen Jahren nach Veröffentlichung von Pasternacks „Dr. Schiwago“ ins Gedächtnis zu rufen vermag, was für eine große Macht Worte haben können und dass es dafür manchmal die unbändige Liebe eines Menschen braucht, um für immer auf Papier gebannt zu werden.
Erklärungen zu den Bewertungen findet Ihr hier.
- Autor: Lara Prescott
- Alles, was wir sind
- Datum der Veröffentlichung: 8.11.2019
- Genre: Historie/Biographie
- Verlag: Rütten & Loening/Aufbau-Verlage
- ISBN des Prints: 978-3352009358
- Seitenzahl des Prints: 475
- Dateigröße des eBooks: 1812 KB
- Gelesenes Format: Print/Hardcover
- Rezensionsexemplar: nein
- Autoren-Website
- Verlags-Website
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